MANN HÄLT ES NICHT FÜR MÖGLICH
- Theo Regnier
- 29. Mai
- 7 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 30. Mai

An alle geradlinigen und aufrechten Männer, die Ihr verantwortungsbewusste, liebende Familienväter seid, Anti-Alkoholiker, Nichtraucher, ehrliche Steuerzahler, sozial engagiert, empathisch, gesetzestreu, monogam, ökologisch korrekt und genderaffin:
Ihr braucht ab hier nicht weiterzulesen, denn von Euch ist in diesem Text nicht die Rede.
Wer seine Ausführungen bei Adam und Eva beginnt, wird in aller Regel der Weitschweifigkeit geziehen. Dieser Text hingegen muss bei Adam und Eva anfangen. Was bleibt einem denn übrig, wenn das Thema die ersten Menschen sind? Präziser, der erste Mensch. Das war nun mal Adam. Nicht Eva. So ganz zufällig wird die göttliche Entscheidung, Adam den Vortritt zu lassen, nicht gewesen sein.
Legt bereits der Schöpfungsbericht ein erschütterndes Zeugnis ab über sechs Tage Maloche bei der Erschaffung der Erde, so fügt sich die biblisch kolportierte In-die-Welt-Setzung von Adam und Eva nahtlos in das unnötige Gehudel ein. Auf ein paar Stündchen mehr oder weniger wäre es doch gar nicht angekommen, oder? Stand ja keiner mit der Stechuhr daneben. Aber belassen wir es dabei, revidieren lässt sich ja eh nichts mehr.
Dass Gott den Adam aus Lehm geformt hat, weist nicht gerade auf eine saubere Sache hin. Sollte tatsächlich nichts Besseres in Griffnähe gewesen sein als ausgerechnet Lehm? Natürlich, Knetgummi gab es damals noch keinen, aber hilfsweise hätte sich doch mit Kautschuk auch etwas machen lassen. Wir wären alle gelenkiger. Geschmeidiger. Leichter zu reinigen. Nein, es musste Lehm sein. Nur damit der Aschermittwoch-Klassiker „Staub bist du und zum Staub kehrst du zurück“ seine Berechtigung hat? (Viele Gläubige überfällt an dieser Stelle unstillbarer Durst nach Wasser, den Rheinländer nach Kölsch.)
Dass Gott den Mann nach seinem Ebenbilde designte, lässt tief blicken. Welches Selbstbild lag der Formatierung zugrunde? Hatte er keinen Spiegel? Nachdem im Jüngsten Gericht keine Fotografen, sondern nur Zeichner zugelassen waren, wissen wir, dass Gott ein Opa war, mit zerfurchten Gesichtszügen, zauseligem Bart und grauen, strähnigen Haaren, die nicht sitzen. Wahrscheinlich um Jahre gealtert nach diesem Sechs-Tage-Rennen bei der Erderschaffungsmaloche. Hat er gar, man wagt es kaum auszusprechen, vor oder während der Lehmnummer von gegorenen Früchten gekostet, die er reichlich gesät hatte? Hatte Gott, als er die Krone der Schöpfung schuf, einen in der Krone? Das würde jedenfalls einiges erklären.
Unbeantwortet bleibt auf jeden Fall die Frage, wie Gott auf die Vornamen der ersten Menschen kam. Warum Adam und nicht Leon, Maik oder Horst? Warum Eva und nicht Chantal, Désiré oder Gertraud? Muss nicht, wer Adam sagt, auch Barbara sagen?
Weiß Gott wirklich alles?
Der Himmel hängt voller Geigen, aber es ist kein Dirigent da, der die Zukunftsplanung für das Ungeborene orchestriert. Viele Entscheidungen hängen vom Geschlecht des Kindes ab. Leichtsinnige Paare geben fröhlich bekannt, dass sie es nicht wissen wollen. Das ist, wenn schon kein Fehler, doch eine Entscheidung auf den letzten Drücker, wie ich am Beispiel des jungen Paares lernen durfte, das in der Gartenwohnung unter mir wohnt. Wir hielten bisher kaum Kontakt, aber als Frau Friedrich dann schwanger war, sah ich mich genötigt, mit der Mutter ein paar Worte zu wechseln, wenn wir uns im Treppenhaus begegneten.
»Wissen Sie denn schon, ob es ein Junge oder ein Mädchen wird?«
Sie lächelte. »Wir lassen uns überraschen.«
»Ach wie nett.«
»Ja, aber ich bin mir ganz sicher, dass es ein Junge wird. So boxt und trampelt nur ein Junge.«
«Haben Sie schon einen Namen?«
Frau Friedrich schaute mich etwas verlegen an. Na ja, man habe schon einige Namen angedacht, aber nicht final entschieden. Bis zum errechneten Geburtstermin wäre ja auch noch viel Zeit. Zwei Wochen später erzählte sie mir, ihr Mann habe doch wissen wollen, ob es ein Junge oder ein Mädchen wird. Ein Arbeitskollege von ihm habe in der Kantine laut bemerkt, mi-mi-mi-Mitarbeiter bekämen auch mi-mi-mi-Mädchen. Alles Schmäh von gestern, denn ihr Gefühl habe sie nicht getäuscht, es werde ein Junge. Leider lägen sie und ihr Mann bei der Namenswahl auseinander.
»Darf ich fragen, wie weit sie auseinander gehen?«
»Also ich finde, Elton ist ein toller Name für einen Buben. Wissen Sie, ich bin ein großer Fan von Elton John. Und Elton Friedrich hört sich doch auch total geil an, finden Sie nicht?«
»Wozu tendiert Ihr Mann?«
»Er ist völlig vernarrt in den Namen Magnus. Aber das klingt für mich an wie eine Eissorte.«
»Tatsächlich?«
»Ja. Was meinen Sie?«
»Magnus, da wäre ich eher vorsichtig. Nicht wegen der Eissorte, aber magnus heißt nun mal groß. Was ist, wenn der Junge eher klein gerät?«
»Mein Arzt sagt, er wird mal ziemlich groß.«
»Und Sie möchten jede Assoziation zu Eis am Stiel vermeiden?«
»Unbedingt.«
»Haben Sie und Ihr Mann denn keine Alternativen zu Elton und Magnus? Es gibt doch so viele schöne Vornamen.«
Frau Friedrich schüttelte bekümmert den Kopf.
»Viele, ja. Viele unschöne. Oder so Modenamen, die wollen wir beide nicht.«
Nach der glücklichen Geburt habe ich ein kleines Geschenk vorbeigebracht, eine Spieldecke für den Fußboden, mit lustigen Bildmotiven wie Bagger, Baukran und Motorräder. Frau Friedrich war gerührt. »Das wäre doch nicht nötig gewesen.«
»Und, haben Sie einen Namen gefunden?«
»Ja!«, strahlte die Mutter. »Er heißt Adam. Sein Taufpate ist Religionslehrer, der hat uns erklärt, dass Adam im Hebräischen einfach Mensch bedeutet.«
Ich war beeindruckt. Von Elton über Magnus zu Adam, daran erkennt man, wie nützlich es sein kann, einen Religionslehrer als Taufpaten zu nominieren.
Für das Kind spielt es zunächst keine Rolle, wie es gerufen wird. Für die Eltern hingegen spielt es eine große Rolle, wie es von dem Kind gerufen wird.
Viele Elternpaare lauern unruhig auf das erste Wort, das sie ihrem Sprössling vom Munde ablauschen. Hat er gerade „Papa“ oder „Mama“ gesagt? Der Vater hat genau gehört, dass dem Stammhalter (sic!) als erstes Wort „Papa“ über die Lippen kam. „Papa! Ja, der Papa! Ja, der liebe Papa!«
»Er hat Mama gesagt“, korrigiert die Mutter sanft.
In Wahrheit ist es völlig unerheblich, ob das erste Wort „Papa“ oder „Mama“ oder „Cola“ lautet. Oder „Autodidakt“. Unerheblich deshalb, weil sich der späte Mann nicht an sein erstes Wort erinnern kann. Er ist auf die Angaben seiner Erzeuger angewiesen, die im Zweifelsfall voneinander abweichen.
Weitaus spannender ist es für den heranwachsenden Knaben, wenn er durch die Reaktionen seiner erweiterten Umgebung zu begreifen beginnt, dass er sich gefälligst einen Platz auszusuchen habe, der ihn an die Spitze, in die Mitte oder an den Rand der Gesellschaft spült. Natürlich, ignorante Eltern meinen, die Entwicklung des Kindes hinge allein von ihnen ab, ja, dass der spätere fertige Mann sozusagen das Endprodukt ihrer Erziehung sei. Das mag in wenigen unglücklichen Fällen auch zutreffen. In der Realität stoßen die elterlichen Lenkhilfen auf eine Modelliermasse, die sich aus Erbanlagen, Charakter, Talent und Ausbildung zusammensetzt, kurz, die Ursuppe. Da bricht sich einiges Bahn, was die pädagogischen Assistenzsysteme nicht oder nur wenig zu beeinflussen vermögen. Viel diskutiert wird die Frage, was ungleiche soziale Voraussetzungen mit sich bringen, in die ein Kind schuldlos hineingeboren wird. Ist es bereits eine Richtungsentscheidung fürs Leben, wenn die Eltern des einen Sprösslings Akademiker sind und die des anderen Arbeiter? Wie wirkt sich auf die Sprachsozialisation aus, wenn in dem einen Elternhaus von Dilemma gesprochen wird, was in dem anderen schlicht Scheiße heißt? Wie belebend oder hemmend sind Besitz und Kontostand? Natürlich, der eine wächst mit goldenen Löffeln auf, der andere mit Plastikbesteck vom Flohmarkt. Wird die männliche DNA von solch krassen Unterschieden überhaupt berührt? Hier möchte ich Shakespeare zitieren, Hamlet, 3. Akt, 3. Szene, Zeile 87: »Nein«.
Mit Adam als neuem Nachbarn baute sich zwischen der Familie Friedrich und mir eine nähere Beziehung auf. Vorher verkehrten wir freundlich, aber distanziert. Freilich, mal ein Paket für den Nachbarn annehmen oder im Urlaub die Pflanzen gießen, jedoch unter einvernehmlichem Verzicht auf gegenseitige Einladungen. Mit Adam änderte sich das. Wenn ich auf meinem Küchenbalkon stand und die Friedrichs im Garten waren, kam schon hin und wieder die Einladung auf ein Glas Wein, was ich nicht jedes Mal ablehnen wollte. So war es gar nicht zu umgehen, dass ich Adams Vater kennenlernte, dem ich bisher nur begegnet war, wenn er im Hof an seinem Mountainbike herumschraubte oder im Winter sein Snow-Board auf dem Autodach fixierte. Der Typ war durchtrainiert, Drei-Tage-Bart, Sixpack, stahlblaue Augen.
Je mehr ich die Friedrichs kennenlernte, um so stärker beschlich mich das Gefühl, dass der knallharte Vater und die sanfte Mutter nicht wirklich zusammenpassten. Adam stand irgendwo dazwischen. Zwischen »Ein Junge weint nicht« und »Du armer Schatz, Mami holt dir ein Pflaster.«
So viel können wir uns schon einmal für später merken: die Vater-Sohn-Konflikte zeichnen sich meist früher ab als die Mutter-Sohn-Konflikte.
Interessant wird es überhaupt erst, wenn die sozialen Kontakte des Thronfolgers nicht mehr auf das Elternhaus beschränkt sind. Die Challenge beginnt in der Kita, gefolgt vom Kindergarten. Nur die Harten kommen in den Kindergarten. Na gut, stimmt natürlich so nicht, aber im Sandkasten gewinnen die Harten den Kampf ums Schäufelchen. Die Grunderfahrung lehrt den Knaben, dass überlegene Muskelkraft durchaus hilfreich sein, besonders wenn sie mit Skrupellosigkeit gepaart ist. Ein entschlossener Hieb mit dem Sandeimerchen auf den Kopf des Kontrahenten entscheidet den Konflikt in Sekundenschnelle. Es kommt allein darauf an, ob man zur Geber- oder zur Nehmerseite gehört, also ob man das Sandeimerchen in der Hand hält oder es an den Kopf bekommt. Solche Erfahrungen in der einen oder anderen Richtung können elementare Weichenstellungen für eine gewisse Wegstrecke einleiten.
»Nein, Adam, das ist das Schäufelchen vom Bernhard, das darfst du ihm nicht einfach wegnehmen. Bitte ihn, dass er dir sein Schäufelchen leiht«.
Warum soll Adam um etwas bitten, das er bereits in der Hand hält?
Das Rennen um die soziale Pole-Position bestreiten Jungen ohne Anleitung von Dritten, und zwar von früher Kindheit an. Hierbei hilft ihnen ihre natürliche Begabung zum Angeben, die ihnen lebenslang nicht verloren geht.
Ich erinnere mich an meinen ersten Besuch in Berlin. Ich warte an einer Fußgängerampel, neben mir eine Frau mit ihrem etwa achtjährigen Sohn, der Rollschuhe anhat. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite steht eine andere Mutter mit einem gleichaltrigen Jungen. Der mit den Rollschuhen schaut herausfordernd zu dem anderen Steppke hinüber und ruft: »Kannste ooch Rollschuh loofen? Nee, wa?«
Der andere Junge blickt feindselig zurück.
»Grün«, ermahnt die Mutter den Sportskameraden und zieht ihn über den Zebrastreifen. Jetzt zeigt sich, dass der Angeber nicht Rollschuhlaufen kann. Und zwar überhaupt nicht. Er stolpert über seine eigenen Füße, und wenn seine Mutter ihn nicht festhielte, würde er sofort auf der Nase liegen. Sie schleift ihn über den Zebrastreifen.
Der Blick des Rollschuhlosen wandelt sich von feindselig in verächtlich.
Zu meinem Leidwesen werde ich nichts, auch nicht das Geringste über die Biografien der zwei Nachwuchskontrahenten erfahren.
Eigentlich schade.
Übrigens, es gibt auch schwierige Frauen. Davon beim nächsten Mal mehr.
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