top of page
Theo Regnier

#ERINNERUNGEN AN SEX


Am Donnerstag lief mir Andi über den Weg. Wir hatten uns länger nicht gesehen, weil er ein paar Jahre von Schwabing weg gewesen war.

„Das müssen wir begießen“, befand Andi, und zeigte auf den Edel-Italiener schräg gegenüber: „Gehen wir doch gleich zu dem.“

„Sag mal, wie alt bist du inzwischen?“, fragte Andi, als wir am Tisch saßen. Kaum hatte ich ihm mein Alter genannt, sagte er: „Und? Hast du noch Sex?“

„Na ja..“, sagte ich.

„Machen wir uns nix vor. So easy wie früher ist’s schon lang nicht mehr. Die goldenen Aufreißerzeiten sind vorbei. Eigentlich waren sie schon mit Aids vorbei. Aids war der absolute GAU für unser Sexualleben. Vom Schlaraffenland auf den Archipel Gulag - gehen Sie direkt ins Gefängnis, gehen Sie nicht über Los. Aber die Zeiten vor Aids, mein Gott, das war die beste Zeit meines Lebens. Deine doch auch, oder?“

„Na ja..“, sagte ich.

„Kein Anbahnungsgedönse, kein Rumgesülze, keine leeren Versprechungen. Nur die simple Frage, gehen wir zu dir oder zu mir? Zack.“

„Ach ja, die alte Jargon-Chiffre.“

„Quatsch, Jargon-Chiffre. Das war die bündige Entscheidung über einen Ortswechsel. Wenn der nicht möglich war, bitte, wir hatten auch damals schon Autos, oder zur Not, je nach Jahreszeit, blieb uns Gottes freie Natur.“

Andi bestellte eine Flasche Wein. „Kommen wir günstiger bei weg als mit den Offenen.“

Er senkte die Lautstärke seiner Stimme. „Die, die es gar nicht aushalten konnten, verschwanden auch schon mal auf der Damentoilette.“

„Wie romantisch“, sagte ich.

„Romantik… klar, wenn da das Toilettenpapier mit Blümchen bedruckt war.“ Er lachte. „Also komm, Alter, mit Romantik hatten wir doch rein gar nichts am Hut. Das Schöne war doch gerade, dass Sex null mit Romantik zu tun hatte. Schon gar nicht mit Liebe. Damit hätte man alles kaputt gemacht. Nein, Sex erfolgte, wie soll ich sagen…“

„Beiläufig“, schlug ich vor.

Andi strahlte: „Beiläufig! Das trifft es auf den Punkt. Die Geschäftsgrundlage war Spaß. Einfach nur Spaß. Für beide. Oder für zwei plus eins, wenn ein flotter Dreier bei raussprang. Von Rudelbums ganz zu schweigen.“

„Ach, das gute alte Vulgärvokabular. Hab ich schon richtig vermisst.“

„Was?“

„Na ja, flotter Dreier, Rudelbums. “

„Da hast du völlig recht, Alter. Extrem vulgär, aber (!) - an mathematisch-biologischer Präzision nicht zu überbieten. Wollen wir nicht eine Kleinigkeit essen?“

Andi bestellte Tagliatelle mit Trüffel, ich nahm Spaghetti Vongole.

„Diese himmlische Leichtigkeit des Seins, diese Unbeschwertheit. Kondome? Waren was für Spießer. Okay, ab und zu brauchtest du dann mal den Urologen, aber gemessen am Gesamtaufkommen fiel das nicht wirklich ins Gewicht“, schwärmte er. „Es war doch so. Wenn du abends allein aus dem Haus gegangen bist und du bist in der Nacht alleine in deine Wohnung zurückgekommen, dann warst du auf einer Familienfeier!“

„Na ja..“, sagte ich.

„Wenn du in Schwabing unterwegs warst, Kneipen abgegrast, gecheckt, was los ist, und wenn nichts Gescheites reinkam, ab in die nächste.“

„Was haben damals die Antialkoholiker gemacht?“

„Keine Ahnung. Wir konnten schon was vertragen. Persiko, Apfelkorn. Aber nie so zugedröhnt, dass nichts mehr ging, verstehst du?“

„Weißt du, Andi, die ganzen Aufreißergeschichten sind doch zum größten Teil frommer Selbstbetrug.“

Er sah mich groß an.

„In Wirklichkeit waren es doch die Mädels, die bestimmt haben, ob was läuft oder nicht“, fuhr ich fort. „Die waren’s, die das Heft des Handelns fest in der Hand hatten.“

Andi grinste breit. „Das Heft des Handelns. Fest in der Hand, na klar. Trinken wir noch ein Fläschchen?“

Bevor ich was sagen konnte, hielt Andi die leere Flasche in Richtung des Kellners hoch.

Dann wandte er sich wieder mir zu: „Hattest du nicht mal ein dauerhaftes Verhältnis mit zwei Mädels? Also das, was man eine Ménage à trois nennt?“

„Ich? Eine Ménage à trois? Nee, hätt ich mir gar nicht leisten können.“

„Bin gleich wieder da.“ Er stand auf und ging zu den Toiletten.

Eine Ménage à trois. Davon Andi keine Ahnung, woher auch. Eine Ménage à trois war das soziale Privileg von wohlhabenden, mit Esprit gesegneten und von der Gesellschaft bewunderten Berühmtheiten, meist Schriftsteller oder Künstler, Filmschaffende, so was. Frühstück im gepflasterten Innenhof einer Stadtvilla, nach außen von hohen Mauern und doppelflügeligem Holzportal abgeschirmt. Ein knorriger Tisch unter einem ausladenden Sonnenschirm, daneben üppige Oleanderbüsche, ein Springbrunnen. Die tunesische Zugehfrau bringt eine Teekanne an den Tisch, Art déco, aus englischem Sterlingsilber handgetrieben. Der Hausherr, nach hinten gekämmte Silbermähne, gewandet in eine von Blassblau nach Hellgrau changierende Toga, nickt dankend und drückt seine Zigarette aus. Die Frau links neben ihm, Pluderhose und Leinenhemd, sagt zu ihm: „Du wolltest doch nicht mehr vor dem Frühstück rauchen, Gregor.“ Gregor wirft ihr einen liebevollen Blick zu und antwortet: „Ich fange morgen damit an, mein Engel.“ Die Frau zu seiner rechten Seite, Wickelrock  und Ballerinas, lächelt süffisant. Ein Windhauch bewegt den Volant des Sonnenschirms, ein Sonnenstrahl fällt auf das Messerbänkchen und lässt es kurz aufblitzen. Silber auch hier.

Von diesem Szenario war ein windiger Schwabinger Aufreißer ungefähr so weit entfernt wie eine Favela in Rio von einer Villa in Bel Air.

Andi kam zurück und blieb beim Wirt stehen.

Ich dachte plötzlich an unsere frühere Studenten-WG, wo Andi den zweifelhaften Ruf des ungekrönten Aufreißerkönigs genoss. Sein „beiläufiges“ Prozedere folgte einem wiederkehrenden Muster. Er suchte Kneipen auf, in denen er anschreiben lassen konnte, schälte kurz vor der Polizeistunde eine Blondine vom Tresen und war, zurück in unserer WG, wenig diskret. Für uns Mitbewohner war das deshalb sehr nervig, weil Andi sein Bett in einem Durchgangszimmer hatte. Hinweise, dass wir uns akustisch behelligt fühlten, brachten ihn zwar dazu, Besserung zu geloben, aber dieses Gelübde brach er regelmäßig. Einmal hörten wir, wie die Dame ihn aufforderte, ihr eine frische Semmel zu schießen, am besten zwei, worauf er mürrisch sagte, er wüsste nicht einmal, wo die leben.

"Krieg ich nun eine Semmel oder nicht?"

Er atmete tief durch. "Ja, Sophie, du kriegst deine Semmel."

"Sonja!"

Dann schlurfte er zum Bäcker und kam mit Semmeln zurück. Oder, wenn er die Gespielin nicht mehr sehen wollte, hockte er sich so lange in ein Café, bis er sicher sein konnte, dass nach seiner Rückkehr das Feld geräumt war.

„Mit dem Wirt hab ich früher mal Billard gespielt“, sagte Andi. „Magst du auch noch einen Nachtisch?“

Nach dem Dessert bestellte er noch einen Espresso und einen Grappa.

„Du, ich muss dann mal los“, sagte ich.

„Ich komm mit. Ach so, Alter, ich bin übrigens total dekarbonisiert.“

„Was bist du?“

„Dekarbonisiert. Keine Kohle mehr. Könntest du das heute übernehmen? Ich zahl dann beim nächsten Mal.“

Als wir draußen waren, konnte ich mir eine Frage nicht verkneifen: „Andi, wie ist das eigentlich bei dir? Hast du noch Sex?“

Er winkte ab. „Schon lange nicht mehr. Nicht, dass ich keinen Bock mehr hätte. Nee, erektile Dysfunktion. Echt Scheiße, sag ich dir.“

Er tat mir im Moment sogar leid. „Vielleicht finden sie ja irgendwann etwas, was hilft.“

„Schön wär’s. Wenn nicht, ich hab ja immer noch meine Erinnerungen. Erinnerungen daran, wie geil Sex einmal war.“ Er lachte. „Und meine schmutzige Phantasie. Die kann mir niemand nehmen.“

Er klopfte mir auf den Arm und ging leicht schwankend davon.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

19 Ansichten

Aktuelle Beiträge

Alle ansehen

#GENAU

#VIVE LA FRANCE

#RABENVIEH

Comentarios


bottom of page