Auf der Bugwelle der Modewörter surfen Wörter bzw. Ausdrücke mit begrenzter Haltbarkeit oder scheinen sich auf ewig dort festzukrallen. Ausgangs des letzten Jahrhunderts hatte „kein Thema“ Konjunktur. Im Taxi: „Könnten Sie mich an der Kreuzung rauslassen?“ – „Kein Thema.“ Im Geschäft: „Können Sie mir den Kühlschrank noch diese Woche liefern?“ – „Kein Thema.“ Bauherr zum Architekten: „Den Wintergarten hätten wir gerne ein Stück größer.“ – „Kein Thema.“ Aber irgendwann war „kein Thema“ kein Thema mehr. Neues Thema war das mit ungeahnter Power um sich greifende Wörtchen „geil“. Anfangs noch in der jugendlichen Prollsprache verortet und von Älteren, die darunter beharrlich etwas anderes verstanden, naserümpfend ignoriert, trat „geil“ seinen Siegeszug quer durch alle Alterssegmente an. Selbst Sportreporter der alten Tante ZDF oder des steifen Onkels ARD durften ON AIR ein Spiel geil finden, ohne eine Abmahnung befürchten zu müssen. Warum auch lange nach einem passenden Adjektiv herumsuchen, wenn geil praktisch immer passte? Klar, der Kanzler würde seinen Doppel-Wumms nicht öffentlich geil nennen, aber die Kinder von Habeck und Baerbock brauchen wohl keine elterliche Rüge zu fürchten, wenn sie die neue Lehrerin oder alte Sneaker geil finden. Wo ein Urteil Verstärkung brauchte, erweiterte man geil um affengeil, endgeil oder megageil. „Mega“ war ein auch getrennt zu gebrauchendes Werturteil und ist dem Vernehmen nach im hauseigenen Sprachlabor von Dieter Bohlen gezüchtet worden, der es umgehend mit viel Erfolg vermittels medialer Überpräsenz in die Gehirne bildungsferner Gesellschaftsschichten einpflanzte. In beliebiger Kombination mit „krass“ „hammer“, „voll“ war mega eine Allzweckwaffe in der Konversation, ein Ende ist nicht abzusehen. Ungekrönter Herrscher (Herrscherin?) aller Modewörter ist aber das Wörtchen „genau“. Hier von Modewort zu reden geht möglicherweise am Thema vorbei. Denn „genau“ hat praktisch alle Bestätigungen ersetzt, die früher im Sinne von „stimmt“, „richtig“, „trifft zu“, „korrekt“, „verstanden“ usw. benutzt wurden. „Genau“ muss auf unerklärliche Weise einen Logenplatz an der Zungenspitze eingenommen haben, denn häufig spritzt ein „genau“ als Erstes aus dem Mund, bevor sinnvoll weitergesprochen wird. TV-Interviewbeispiele wie dieses sind keine Seltenheit. Nachrichtensprecher zur Außenreporterin: „Wie stellt sich Ihnen die Situation vor Ort dar?“ – „Genau. Dazu wird uns Brandschutzdirektor Krause mehr sagen.“ – Krause: „Genau. Wir wurden um 19 Uhr über den Ausbruch des Feuers verständigt.“ Danach folgt das Wetter. Wetterfee: „Vom Atlantik her nähert sich ein Tiefausläufer. Genau.“ Manchmal zischen die Genaus von allen Seiten an einem vorbei, ohne dass man Deckung findet. Ich habe mal ein Telefonat mit mehreren Gesprächsbeteiligten mitgehört, bei dem der Ton auf „Lautsprecher“ gestellt worden war. Es hagelte ein „genau“ nach dem anderen, vergleichbar der Blitzentladung bei schwerem Gewitter in einer dichten Wolkendecke, nur dass es hier eine Sprachdecke war, die „genau“-grollend durchstoßen wurde. Mehr Übereinstimmung als mit „genau“ ist undenkbar. Ich selbst würde gerne mal ein Modewort in die Welt setzen, zum Beispiel um Begriffe wie „langweilig“, „ärgerlich“, „mies“, „bescheuert“ oder „total daneben“ zu ersetzen. „Rostbraun“ gefiele mir gut. Der TV-Auftritt von Gottschalk? Rostbraun. Der Roman „Thérèse Raquin“ von Emile Zola? Rostbraun. Das neue Album von Herbert Grönemeyer? Rostbraun. „Layla jünger hübscher geiler?“ Rostbraun. Die Rede des AFD-Abgeordneten im Bundestag? Rostbraun. Viel Hoffnung habe ich nicht, dass das was wird. Genau.
Theo Regnier
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